Mit dem Klassiker unterwegs
Jeder Motorradfahrer kennt sie. Die Situationen, die sich unauslöschlich im Gehirn festbrennen. Gefährliche, komische, meist aber die fürchterlich peinlichen Momente. Jeder, der vor versammelter Mannschaft am Treff schon mal seinen Bock umgeschmissen hat, kennt es. Es sind die Momente im Leben eines Moppedfahrers, an denen man sich an einen anderen Ort des Planeten wünscht, nur um dem unausweichlichen Hohn und Spott der feixenden Menge zu entgehen.
Die folgende Geschichte ist so ein Beispiel…
Stell dir vor, du stehst mit deinem Klassiker am Moppedtreff. Stundenlang hast du von der Zuverlässigkeit deiner Maschine geschwärmt, die selbstverständlich einzig und allein auf deine hervorragende Sachkenntnis als Schrauber und Motorradflüsterer zurückzuführen ist. Dann kommt der Moment des Aufbruchs. Du zwängst dich wieder in deine Lederhaut, die Sonne lacht vom Himmel. 26 °C im Schatten, den es nicht gibt. Du klappst lässig den Kickstarter zu Seite, vergewisserst dich heimlich noch kurz, ob auch alle Blicke auf dich gerichtet sind und gibst deinem Schätzchen einen kräftigen Tritt.
Nichts. Ein zweiter Tritt. Nichts. Ein dritter und vierter. Nichts.
Die Menge wird unruhig.
Du knickst kurz in der Hüfte ab, um fachmännisch einen Blick auf den Motor zu werfen. Das hilft zwar nichts, sieht aber immer professionell aus. In der Regel wirst du nun irgendein Teil vom Bock wenigstens einmal anfassen. Irgendeines, egal welches. Es muss nur so aussehen, als ob du – souverän, wie es immer deine Art ist – mit einem kurzen Griff die Situation zu deinen Gunsten wenden könntest.
In dem Moment, in dem du zum fünften Mal dein Bein hebst, weißt du: Es ist deine letzte Chance. Springt sie an, bist du der Held. Alle werden glauben, dass die Lösung des Problems durch dein unmotiviertes Gefummel erreicht wurde. Du setzt zum Kick an, das ständig wachsende Publikum wird immer unangenehmer.
Mit aller Kraft saust dein Schenkel nach unten … Nichts.
In deinen Ohren macht sich Tinnitus breit, unterm Helm herrschen jetzt gefühlte 70 °C. Die ersten Wortfetzen an dringen an dein Ohr:
»Was ischn des für a Gurg?«
»Isch die Show umsonschd oder koscht des ebbes?«
»Gugg mol, der schwitz wie d’Sau«
»Hosch au no annere Hobbies?«
»Scho mol mit Schbritt probiert? Des soll helfe?«
Die Menge johlt und ist bester Dinge. Hilft nichts. Helm ab, Jacke auf. Lässig bleiben. Auch deine Kumpels, die natürlich schon längst auf ihren laufenden Moppeds sitzen, drehen murrend den Zündschlüssel wieder zurück. Nun kommen auch die ersten persönlichen Attacken deiner Mitfahrer.
»Ächt subbr! Goahts irgendwann heit no weider?«
Du kontrollierst Benzinschläuche, Benzinhahn, Kerzenstecker, Zündkabel. Alles okay. Mittlerweile hast du deine Jacke ausgezogen, die Hitze wirkt in dieser peinlichen Situation wie das Feuer von Mordor.
Die ersten Kollegen schleppen ihr Werkzeug an. Du richtest dich in Gedanken auf eine längere Aktion ein. Plötzlich bleibt dein Blick am rechten Lenkerende haften. Dir wird heiß und kalt. Mit einem Schlag hast du nämlich die Fehlerquelle entdeckt und es wird blitzartig klar: die ganze Blamage war mehr als überflüssig. Gleichzeitig durchzuckt dich der rettende Gedanke, dass du mit einem genialen Schachzug deine Bikerehre noch retten kannst.
Außer dir scheint nämlich noch niemand bemerkt zu haben, dass dieser verfluchte Killschalter auf der Position ›OFF‹ steht.
Während also schätzungsweise sechs Personen damit begonnen haben, dein Motorrad zu zerlegen, beugst du dich aus Gründen der Tarnung über besagtes Lenkerende, z.B. um nachzusehen, ob das Vorderrad noch da ist. Dabei legst du mit ungeahnter Fingerfertigkeit den Schalter auf die richtige Stellung um.
Ein kurzer Blick in die Runde – scheinbar hat niemand etwas gemerkt. Das Blatt wendet sich.
Du leitest deinen nächsten Zug ein, indem du alle hilfreichen Geister mit forschen Worten von deinem Gefährt vertreibst. Mit einem vielsagenden Blick wendest du dem Volk den Rücken zu, gehst vor deinem Triebwerk in die Hocke, den Körper möglichst nahe am Fahrzeug. Nun fährst du mit der Hand an eine Stelle unterm Tank, wo wirklich niemand sehen kann, was du da eigentlich machst. Tatsächlich machst du ja auch, abgesehen von einem angestrengten Gesicht, wirklich gar nichts.
Nach ca. zwanzig theatralisch höchst wirkungsvollen Sekunden richtest du dich langsam wieder auf, jedoch nicht ohne darauf zu achten, dass sich dein angestrengtes Gesicht langsam in ein nachdenkliches verwandelt. Es muss unbedingt der Eindruck entstehen, als wenn du vor deinem geistigen Auge einen wahrlich höchst komplizierten, technischen Vorgang Revue passieren lässt. Auch hier sind zwanzig Sekunden ein guter Richtwert. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehst du den Zündschlüssel, öffnest den Benzinhahn und klappst den Kickstarter aus.
Die Situation ist nun spannungsgeladen, niemand spricht ein Wort. Du setzt an, kickst und zur Verblüffung aller fängt die Mühle an zu klappern. In aller Ruhe wirfst du dich wieder in deine Klamotten, während die Maschine ruhig bei 800 Touren vor sich hin tuckert. Sollte irgendein dreister Ork es jetzt wagen, dich auf die Fehlerquelle anzusprechen oder nach der eigentlichen Ursache zu fragen, so gibst du ihm lapidar zu verstehen:
»Entweder man kennt sein Moped oder man kennt es nicht.«
Daraufhin werden keine Fragen mehr kommen.
Du nimmst erhaben auf deinem Mopped Platz, schickst noch kurz einen weltmännischen Gruß in die Runde und machst dich in aller Ruhe vom Hof. Es bleibt eine nachdenkliche Menge, der du wieder mal gezeigt hast, dass man wirklich nicht davor zurückschrecken muss, ein klassisches Motorrad mit all seinen kleinen Macken zu fahren. Vorausgesetzt, man hat den nötigen Sachverstand.